Agent an der kurzen Leine

Competition and Regulatory

Der Agenturvertrag im Fokus der Wettbewerbsbehörde

Das Sekretariat der Wettbewerbskommission (WEKO) hat sich kürzlich in zwei Vorabklärungen dazu geäussert, wie Agenturverhältnisse aus Sicht des schweizerischen Kartellrechts zu beurteilen sind. Im Zentrum steht dabei die Frage, unter welchen Voraussetzungen Agenturmodelle das sogenannte Handelsvertreterprivileg beanspruchen können. Diese Abgrenzung ist kritisch, da auf nicht privilegierte Agenturverhältnisse das Kartellgesetz vollumfänglich anwendbar ist und gegebenenfalls ein erhebliches Risiko einer sanktionierbaren Preisabrede nach Art. 5 Abs. 4 KG besteht.

19.03.2025 Dr. Oliver Kaufmann

Ein Agenturvertrag im Sinne des Schweizer Obligationenrechts (Art. 418a ff. OR) setzt voraus, dass der Agent im Namen und für Rechnung eines Auftraggebers handelt und für diesen entweder Verträge vermittelt oder direkt abschliesst. Der Agent trägt dabei typischerweise ein geringeres unternehmerisches Risiko als beispielsweise ein Franchise- oder Lizenznehmer, der die Waren oder Dienstleistungen eines Lieferanten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vertreibt.

Die Tatsache, dass der Agent im Namen und auf Rechnung seines Auftraggebers handelt, kommt beim Vertrieb von Waren in erster Linie dadurch zum Ausdruck, dass die Waren stets Eigentum des Auftraggebers bleiben und dass der Auftraggeber den Endkundenpreis der Waren bestimmen kann. 

Echte und unechte Agenturmodelle

Das Obligationenrecht lässt in der Ausgestaltung von Agenturverhältnissen verschiedene Schattierungen und Mischformen zu, wobei sich an der Qualifikation als Agenturvertrag im Sinne von Art. 418a ff. OR grundsätzlich nichts ändert, sofern das vertragstypische Vertretungs- und Abrechnungsverhältnis vorliegt. Demgegenüber unterscheidet das Kartellrecht zwischen "echten" und "unechten" Agenturverhältnissen, wobei nur echte Agenturverhältnisse unter das sogenannte Handelsvertreterprivileg fallen.

Das Kartellgesetz sagt jedoch nichts über die Abgrenzung zwischen echten und unechten Agenturmodellen. Das Sekretariat der WEKO hat sich deshalb am europäischen Recht orientiert, konkret an den Vorgaben der EU-Vertikalleitlinien. Mit der sinngemässen Anwendung soll eine Abschottung der Schweizer Märkte verhindert und Rechtssicherheit, insbesondere im Hinblick auf internationale Vertriebsbeziehungen, geschaffen werden. 

Ein echtes Agenturmodell liegt demnach vor, wenn der Agent nicht als wirtschaftlich selbständiger Marktteilnehmer, sondern als verlängerter Arm des Auftraggebers auftritt. Dies setzt voraus, dass der Handelsvertreter keine wesentlichen finanziellen oder wirtschaftlichen Risiken trägt, so dass seine Handlungen in vollem Umfang dem Auftraggeber zuzurechnen sind.

Die Voraussetzungen des Handelsvertreterprivilegs

Nach den EU-Vertikalleitlinien sind bei der Beurteilung drei Kategorien von finanziellen und wirtschaftlichen Risiken von Bedeutung: (i) vertragsspezifische Risiken, die unmittelbar mit den für den Auftraggeber abgeschlossenen oder vermittelten Verträgen zusammenhängen; (ii) marktspezifische Risiken, die mit den für die Tätigkeit des Vertreters erforderlichen Investitionen zusammenhängen; und (iii) Risiken, die mit anderen Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt zusammenhängen.

Damit ein Agenturverhältnis als "echtes" Agenturmodell eingestuft werden kann, müssen diese Risiken weitestgehend beim Auftraggeber verbleiben. Dies ist nach den EU-Vertikalleitlinien und der Auffassung des Sekretariats der WEKO dann der Fall, wenn alle folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind (für Erläuterungen bitte klicken):

Kein Eigentumserwerb an den Produkten

Ein echter Agent erwirbt kein Eigentum an den vertriebenen Waren und erbringt die im Rahmen des Agenturvertrages verkauften Dienstleistungen nicht selbst.

Keine Kosten für den Erwerb und die Lieferung der Waren

Ein echter Agent trägt keine Transportkosten oder sonstigen Kosten im Zusammenhang mit dem Erwerb oder der Lieferung der Vertragswaren. Wenn der Agent solche Leistungen erbringt, müssen die Kosten vom Auftraggeber getragen werden.

Keine Lagerhaltungskosten und -risiken

Ein echter Agent unterhält keine Lagerbestände auf eigene Kosten und eigenes Risiko, einschliesslich der Kosten für die Finanzierung der Lagerbestände und des Verlusts von Lagerbeständen.

Keine Haftung für die Vertragserfüllung durch den Kunden (Delkredererisiko)

Ein echter Agent haftet, abgesehen vom Verlust seiner Provision, nicht für Zahlungsausfälle von Kunden. Bei Verschulden des Agenten ist eine Haftung ausnahmsweise zulässig.

Keine Haftung gegenüber Kunden oder Dritten für Schäden

Ein echter Agent haftet gegenüber Kunden oder sonstigen Dritten nicht für Verluste oder Schäden, die durch die Lieferung oder Erbringung der Vertragswaren oder -dienstleistungen verursacht worden sind, es sei denn, es liegt ein Verschulden des Agenten vor.

Keine Investitionen in Vertrieb und Werbung

Ein echter Agent beteiligt sich nicht an den Kosten für Werbung oder Verkaufsförderung, die sich speziell auf die Vertragswaren oder -dienstleistungen beziehen, es sei denn, diese Kosten werden vollständig erstattet.

Keine marktspezifischen Investitionen

Ein echter Agent tätigt keine marktspezifischen Investitionen in Geschäftsräume, Werbung, Fahrzeuge oder sonstige Betriebseinrichtungen, es sei denn, sie werden vom Auftraggeber vollständig erstattet. Dies kann auch über die Provision erfolgen.

Keine anderen Tätigkeiten auf dem relevanten Markt

Ein echter Agent führt im Rahmen des Agenturvertrages keine anderen Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt aus (z.B. Lieferung von Waren), es sei denn, diese Kosten werden vom Auftraggeber vollständig erstattet.

Aufgrund dieser Kriterien kam das Sekretariat der WEKO in beiden Vorabklärungen zum Schluss, dass die Agenten erhebliche wirtschaftliche Risiken tragen und die Voraussetzungen für ein echtes Agenturmodell nicht erfüllt sind. Insbesondere die Übernahme der Lagerkosten, des Delkredererisikos sowie die ungenügende Abgeltung der Betriebskosten sprachen gegen die Qualifikation als echtes Agenturmodell. Das Handelsvertreterprivileg konnte daher nicht zur Anwendung kommen. Das Sekretariat verzichtete jedoch aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Zusagen der betroffenen Unternehmen in beiden Fällen auf die Eröffnung einer Untersuchung.

Das Delkredererisiko im Besonderen

In der Praxis wird immer wieder versucht, das Delkredererisiko teilweise oder in bestimmten Konstellationen auf den Agenten zu überwälzen. Dabei wird das Delkredererisiko häufig als durch die Provision des Agenten abgegolten bezeichnet.

Während dies zivilrechtlich nicht zu beanstanden ist, führt die Überwälzung des Delkredere- oder Debitorenrisikos auf den Vertreter aus kartellrechtlicher Sicht zum Verlust des Handelsvertreterprivilegs. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das Sekretariat der WEKO eine Abgeltung des Delkredererisikos über die Provision als grundsätzlich unzulässig und eine vollständige Übernahme durch den Auftraggeber als unabdingbar zu erachten scheint ("Der Auftraggeber hat dieses Risiko direkt zu übernehmen, was […] vorliegend nicht vollständig tut").

Diese Auffassung ist insofern nicht nachvollziehbar, als das Sekretariat eine Abgeltung des Lagerrisikos durch die Provision als zulässig ansieht und die EU-Vertikalleitlinien im Bereich der vertragsspezifischen Risiken (zu denen das Delkredererisikos und das Lagerrisiko zweifellos gehören) generell davon sprechen, dass unerhebliche Risiken nicht ins Gewicht fallen (Vertikalleitlinien, Ziffer 34). Aus welchem Grund diese beiden Risiken vom Sekretariat offenbar unterschiedlich gewichtet werden, ist nicht ersichtlich. 

Eine Übertragung des Delkredererisikos ist jedenfalls aus Sicht des Sekretariats nur bei einem Verschulden des Agenten zulässig. Nach den EU-Vertikalleitlinien könnte ein Verschulden z.B. darin gesehen werden, dass der Agent es unterlässt, die Bonität des Kunden zu prüfen, angemessene Massnahmen zur Vertragserfüllung zu ergreifen oder alle ihm bekannten Informationen über die Bonität des Kunden an den Auftraggeber weiterzuleiten.

Fazit

Das Sekretariat der WEKO hat in den jüngsten Vorabklärungen bestätigt, dass das EU-Kartellrecht bei der Beurteilung von Agenturverhältnissen nach dem Schweizer Kartellrecht analog anwendbar ist. Auftraggeber müssen daher sicherstellen, dass ihr Agenturmodell den strengen Anforderungen der EU-Vertikalleitlinie genügt und die Agenten keine wesentlichen wirtschaftlichen oder finanziellen Risiken tragen. Nur dann ist das Handelsvertreterprivileg anwendbar.

Kann ein Vertriebsmodell nicht als echte Agentur im Sinne der EU-Vertikalleitlinie qualifiziert werden, ist das Kartellrecht voll anwendbar. Es besteht dann ein erhebliches Risiko, dass die vom Auftraggeber vorgegebenen Endkundenpreise als unzulässige vertikale Preisabreden im Sinne von Art. 5 Abs. 4 KG qualifiziert werden.

Obwohl das Sekretariat der WEKO in den Schlussberichten der Vorabklärungen die Voraussetzungen für die Anwendung des Handelsvertreterprivilegs präzisiert hat, stellt die kartellrechtskonforme Ausgestaltung von Agenturmodellen hohe Anforderungen an die Auftraggeber. Die sich bei der Abgrenzung zwischen erheblichen und unerheblichen Risiken stellenden Fragen sind komplex, zumal gewisse Unsicherheiten verbleiben. Vor dem Hintergrund des Sanktionsrisikos empfiehlt es sich in jedem Fall, Agenturmodelle vor ihrer Umsetzung kartellrechtlich überprüfen zu lassen.

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Wettbewerbsrecht und Regulierung

Wer im Wettbewerb mit Konkurrenten gewinnbringend zusammenarbeiten oder seine Marktmacht optimal ausspielen will, muss die Regeln des Kartell- und Wettbewerbsrechts verstehen und die branchenspezifische Regulierung kennen. So wird Compliance zum Wettbewerbsvorteil.

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