Notausgang Agentur

Wettbewerbsrecht und Regulierung

Die grosse Flucht ins Agenturmodell

Wie sich einem Beitrag der Neuen Zürcher Zeitung unlängst entnehmen liess, stellen die meisten Automobilhersteller derzeit ihre Vertriebsnetze auf ein Agenturmodell um. Die Umstellung soll mitunter das Feilschen der Kunden um Rabatte beenden. Eine solche Umstellung kann für einen Vertriebsgeber aber nicht nur aus kommerzieller Sicht interessant sein. In einem sorgfältig aufgesetzten Agenturmodell ändert sich die kartellrechtliche Beurteilung radikal, und die Hersteller - aber auch die Händler - können Reibungsverluste im Bereich Compliance weitgehend vermeiden.

17.05.2023 Melanie Käser  •   Dr. Oliver Kaufmann

Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen haben verschiedene Möglichkeiten, ihren Vertrieb zu organisieren. Am Anfang steht dabei stets der Entscheid, ob die Produkte oder Dienstleistungen über eigene Ladengeschäfte oder den Online-Handel direkt an die Endkunden verkauft werden sollen, oder ob (auch) Dritte mit dem Vertrieb beauftragt werden.

Je nachdem, wie stark ein Anbieter seine Vertriebsnehmer führen und auf den Vertrieb Einfluss nehmen will, kommen dann verschiedene Vertriebssysteme in Frage. Von praktischer Bedeutung sind dabei insbesondere Franchising, Agentur und Lizenzvertrieb, wobei die Grenzen zwischen diesen Vertriebsformen teils fliessend sind.

Echte und unechte Agentur

In einem Agentursystem vertreiben die Händler, respektive die Agenten, die Waren oder Dienstleistungen des Anbieters rechtlich in dessen Namen und auf dessen Rechnung. Im Unterschied dazu verkauft ein Eigenhändler oder ein Franchisenehmer die Produkte in eigenem Namen und auf eigene Rechnung. Der Agent trägt damit grundsätzlich bedeutet geringere wirtschaftliche Risiken als ein Franchisenehmer.

Je nachdem, welche Risiken ein Agent konkret trägt, wird zwischen echten oder unechten Agenten unterschieden:

  • Ein echter Agent trägt typischerweise nur das Risiko seiner eigenen Geschäftstätigkeit, wie z.B. das Risiko fehlenden Erfolges in der Vermittlung; nicht jedoch vertragsspezifische Risiken, wie das Lagerrisiko, Finanzierungs- oder Delkredererisiken oder andere Risiken, die sich nicht unmittelbar aus der Vertriebstätigkeit des Agenten ergeben.
  • Ein unechter Agent trägt demgegenüber substantiell grössere Risiken: Sieht der Agenturvertrag etwa die Übernahme von Delkredererisiken durch den Agenten vor, oder hat der Agent unter dem Agenturvertrag spezifische Investitionen zu tätigen und die entsprechenden Risiken zu tragen, handelt es sich typischerweise um einen unechten Agenten.

Kartellrechtliche Einordnung

Der Umfang der Übernahme bestimmter Risiken durch den Agenten hat weitrechende Konsequenzen für die kartellrechtliche Beurteilung des Agentursystems sowie der Klauseln in den Agenturverträgen. Während echte Agenten nämlich nicht als Unternehmen im Sinne des Kartellgesetzes gelten und dem Auftraggeber zugerechnet werden, sind unechte Agenten Unternehmen im Sinne von Art. 2 Abs. 1bis KG.

Diese Einordnung hat zur Folge, dass etwa die agenturtypische Vorgabe der Verkaufspreise des Agenten im Fall der echten Agentur ohne weiteres kartellrechtlich zulässig ist. Im Fall der unechten Agentur greifen dagegen die Bestimmungen über die sog. Preisbindung der zweiten Hand. Die Vorgabe von Endkundenpreise im Agenturvertrag wäre dann möglicherweise als harte vertikale Preisabrede nach Art. 5 Abs. 4 KG einzustufen, was mit Sanktionen für den Vertriebsgeber wie auch die Agenten verbunden sein könnte. Vergleichbares würde natürlich auch für weitere Wettbewerbsabreden gelten, etwa den Informationsaustausch im Agentursystem.

Was für unechte Agenten gilt, hat selbstverständlich umso mehr für die "klassischen" Eigenhändler zu gelten, einschliesslich Lizenz- und Franchisenehmer. Sie alle gelten als Unternehmen im Sinne des Kartellgesetzes und können sich nicht auf das kartellrechtliche Privileg eines echten Agenten berufen.

Wechsel des Vertriebssystems

Je nachdem, welchen Stellenwert vertriebskartellrechtliche Themen wie Wettbewerbsverbote und Exklusivitäten oder die systemweite Preispflege in einem Vertriebsnetz haben, kann es sich anbieten, ein Lizenz- oder Franchisesystem in ein Agentursystem umzuwandeln. Praktische Beispiele für solche Transformationen finden sich etwa im Detailhandel oder eben derzeit konzentriert auch im Automobilvertrieb.

Im Falle des Schweizer Automobilvertriebs könnte auch die Annahme der Motion Pfister, welche das "Umgiessen" der Kfz-Bekanntmachung der Wettbewerbskommission in eine Verordnung vorsieht, die Entscheidungen für die Umwandlung befeuert haben. Die kartellrechtlichen Vorteile liegen auf der Hand, jedenfalls solange sich die Hersteller oder Generalimporteure bei der Ausgestaltung des Agentursystems strikte an einer echten Agentur orientieren.

Bericht der NZZ vom 2. Mai 2023 Autohändler werden zu Maklern

Die Vertriebsgeber werden die Voraussetzungen für eine echte Agentur und die mit der Umsetzung auch in praktischer Hinsicht verbundenen Herausforderungen jedenfalls sorgfältig mit den kartellrechtlichen Vorteilen und dem reduzierten Compliance-Aufwand abwägen müssen, immer im Lichte der allgemeinen Vor- und Nachteil von Agenturverhältnissen (etwa mit Bezug auf den Kapitaleinsatz, die Risikoallokation oder die Marge des Vertriebsgebers). Nur so lässt sich feststellen, ob sich eine Flucht ins Agenturmodell auch für das eigene Vertriebssystem auszahlt.

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